1. Luftkriegstheorien

1.1. Einleitung

Dieses Kapitel soll die Anschauungen der einzelnen Kriegsparteien zu den Angriffen aus der Luft darstellen und damit zum besseren Verständnis der Strategie der Angriffe beitragen. Die Ansichten, wie der Krieg aus der Luft auszusehen hatte, und was darunter verstanden wurde, bestimmte im Wesentlichen die Luftkriegsführung.


1.2. Angloamerikanische Theorien

Die Vorstellungen von der Durchführung eines Krieges Großbritanniens und auch der USA gleichen sich sehr. Das liegt der Übernahme der "gesamten Rechtstradition des Common Law"(M1 S.36) aus England durch die amerikanischen Gerichte.

In den Kolonialkriegen entwickelt, als England noch wegen "zahlenmäßiger Unterlegenheit…reine Vernichtungstechnik"(M1 S.36) zur Gegenwehr anwenden musste, hält die Theorie den Standpunkt, dass ein Krieg nicht nur zwischen Heeren und Armeen ausgetragen wird, sondern auch ein "Kampf Volk gegen Volk darstellt"(M1 S.36). Die Maßnahmen solchen Ausmaßes sollten die Moral und Widerstandswillen im Volk, kurz den nationalen Willen zur Verteidigung, schwächen. Diese Idee ging allerdings als einziger wichtiger Teil der Theorie gerade nicht in Erfüllung. Die Ausgebombten übten notgedrungen Solidarität untereinander, jeder war betroffen. Hier ein Ausschnitt aus einer Begebenheit bei der sich Vater und Mutter mit dem Kind auf den Weg zum Wasser zu einer Villa aufgemacht haben:"…Der Andrang der Leute gilt lediglich der Wasserpumpe im Anbau einer Waschküche. Es geht dabei untereinan-der freundlich und sehr diszipliniert zu. Allenthalben ist deutlich zu spüren, wie das gemeinsam Erlebte die Menschen auch als Gemeinschaft näher zueinander geführt hat."

1.3. Deutschland

Hier ist, im Gegensatz zu britisch-amerikanischen Ansicht, nicht das gegnerische Volk, sondern nur militärische Anlagen und Industrieanlagen das Ziel der Kampfhandlungen, was die Angriffe auf die Zivilbevölkerung ausschließt. Die Luftwaffe hat dabei nach der deutschen Auffassung nur eine untergeordnete Rolle. Sie fungiert quasi als taktische Unterstützung für die Bodentruppen. Ihr war "engste Zusammenarbeit mit den Landtruppen"(M2 S.27) zugedacht. Die Idee bestand darin, die Industrie- und Rüstungsanlagen des Gegners so zu schwächen, dass dessen Nachschub zum erliegen kommt. Zwar fanden auch Flächenangriffe auf englische Städte statt, aber sind diese eher als Vergeltung anzusehen, nachdem die Briten mit Angriffen auf Berlin die deutschen Gemüter erhitzt haben. Zusammenfassend kann man sagen, dass die deutsche Kriegführung ihr Ziel nicht mit der Luftwaffe zu erreichen glaubte.

1.4. Russland

Die Auffassung der russischen Theoretiker war der deutschen Theorie über die Luftkriegsführung sehr ähnlich. Die Vorstellung vom Luftkrieg in der SU beabsichtigte keine systematischen Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung. Außerdem vertrat man die Ansicht, dass " strategische Bombenangriffe nur gegen eine schwache Nation erfolgreich sein können"(M2, S31). Die Luftwaffe sollte durch leichte Bomber und Jagd- sowie Schlachtflugzeuge die Bodentruppen unterstützen (M2, S31). Somit unterschieden sich die Ideen vom Luftkrieg der Alliierten beiderseits Deutschlands grundlegend.

1.5. Italien

Zu Beginn des zweiten Weltkriegs hatte Italien eine verschwindend geringe Anzahl von Bombern und Jagdflugzeugen, die "nicht nur den feindlichen unterlegen [waren]" und auch noch mit vielerlei Mängeln behaftet waren (M3, S115). Zuvor hatte General Guilio Douhet (1869-1930) gefordert, aus der Luftwaffe (Regia Aeronautica, kurz R.A.) eine eigenständige, d.h. in der Entscheidungsgewalt von den anderen Abteilungen der Streitkräfte unabhängige Luftwaffe, zu machen (M3, S113). Dazu gehörte auch die Vision von schwer bewaffneten und gepanzerten Flugzeugen zur Freihaltung des Luftraumes von Feindflugzeugen. Wieder andere Flugzeuge, mit 6000 PS ausgestattet, für große Reichweiten und Bombenlasten konzipiert, sollten ferne Städte bombardieren können, wobei sich ein Hinweis auf die Inkaufnahme von zivilen Opfern der Städteangriffe vermuten lässt, schließlich waren die Flugzeuge gerade dazu konzipiert. Jedoch wurde dieses Konzept nie umgesetzt. Nach dem Tod von Douhet machte Amedeo Mecozzi, oberster Militärexperte seiner Zeit, den Vorschlag kleine Angriffsflugzeuge mit eigener Verteidigung und geringer Bombentonnage einzufüh-ren, welche neben der Verteidigung gegen Jagdflugzeuge auch kleinere Ziele bombardieren und angreifen könnten. Aber auch hier kam es nicht weiter als zur Versuchsreihe. Am Anfang des 2. Weltkriegs war die technische Unterlegenheit der Italienischen Luftwaffe nicht mehr zu leugnen.